Akustisches

Rayleigh und Mie, Resonanz und Form

In seinem zweibändigen Werk "Theory of Sound" [1] entwickelt und behandelt Lord Rayleigh ausführlich die mathematischen Mittel, mit Hilfe derer sich Einflüsse von geometrischen Körpern auf eine Schallwelle beschreiben lassen, in der sie sich befinden. Kugeln, Würfel und Stangen sind zwar für die praktische Akustik nicht unbedingt von Bedeutung. Die Effekte komplexerer Formen zu beschreiben überstieg jedoch die Möglichkeiten der analytischen Darstellung zu Rayleighs Zeiten. Deshalb fand dieses seiner Werke lange Zeit kaum Beachtung. Erst in neuerer Zeit knüpfen Raumakustik-Ingenieure wieder an Rayleighs Arbeit an, um gezielt Frequenzbereiche in Raumschall zu unterdrücken.

Benützt wurde Rayleighs Arbeit jedoch schon bald nach ihrem Erscheinen von Gustav Mie in seinem Werk zu optischen Effekten, die durch kleine Licht-streuende Partikel in ansonsten transparenter Materie hervorgerufen werden [2]. Ein bekanntes Beispiel für die von ihm untersuchten Phänomene sind die leuchtenden Farben mittelalterlicher Kirchenfenster, die die Glasermeister durch Zugabe von Metallen zur Glasschmelze erzielten. Stimmte die Rezeptur, dann bildeten sich winzige Metallklümpchen im Glas, die die Farben erzeugten. Die physikalische Ursache dafür war bis zum Erscheinen der Arbeit Gustav Mies nicht bekannt.

Mie fand heraus, dass es einen Grössenbereich gibt, in dem die optischen Eigenschaften der eingeschlossenen Partikel von deren Grösse und Form abhängen. Wenn sich ihr Durchmesser in der Grössenordnung von einem Zehntel bis zu einer Wellenlänge des Lichtes bewegt, für sichtbares Licht also grob einige zehn Nanometer bis einen Mikrometer, dann treten die Materialeigenschaften in den Hintergrund und die Form übernimmt die Herrschaft über die optischen Eigenschaften. Grund dafür sind Resonanzen, die sich im transparenten Material um die Metallpartikel herum ausbilden. Zumindest in der unteren Hälfte dieses Bereichs sind die Metalpartikel noch zu klein, als dass sich in ihnen selbst Resonanzen bilden könnten.

Mie konnte die von Rayleigh entwickelten mathematischen Mittel wiederverwenden, weil die grundlegenden Gleichungen für die Ausbreitung einer elektromagnetischen Welle in transparenten Medien und die Ausbreitung einer Schallwelle in elastischen Medien mathematisch identisch sind. Es handelt sich um sogenannte hyperbolische Differenzialgleichungen zweiter Ordnung. Fachleute werden einwenden, dass Schallwellen longitudinal und Lichtwellen transversal sind. Das spielt aber nur bei den Randbedingungen eine Rolle, also dort, wo ein Material ins andere übergeht. Man kann insgesamt erwarten, dass es in der Akustik ähnliche "Form-Resonanzen" geben sollte, wie in der Optik, wenn die Abmessungen eines Resonators im richtigen Grössenbereich liegen, d.h. von 10 % bis zu einer vollen Wellenlänge.

Akustische Wellenlängen im für das Ohr und die Musik relevanten Frequenzbereich reichen von einigen Metern bis hinunter zu einigen Zentimetern. Die Abmessungen unserer Musikinstrumente liegen somit genau in dem Bereich, der für die genannten Effekte interessant wäre. Man sollte also erwarten dürfen, dass bei Musikinstrumenten Resonanzen auftreten, die von ihrer Form abhängen. Wie die Resonanzen konkret aussehen und welche Formen wozu führen können, wird aufgrund der unterschiedlichen Wellennatur bzw. der verschiedenen Randbedingungen anders aussehen als in der Optik. Aus der Optik ist jedoch bekannt, dass die genaue Form solcher Resonanzen von subtilen Details abhängt, die sehr viel kleinere Abmessungen haben können als die Wellenlänge, sobald sich nur die Gesamtabmessung im relevanten Bereich von ungefähr einem Zehntel bis zu einer vollen Wellenlänge befinden.

Insgesamt kann man annehmen, dass die Formen der Musikinstrumente, die sich im Laufe der Renaissance und des Barocks empirisch in der Arbeit von Generationen von Instrumentenbauern gebildet haben, akustisch alles andere als zufällig sind. Nimmt man hierbei an, dass bezüglich der Details ähnliches gilt wie in der Optik, so darf man auch erwarten, dass es sehr spezifische Wechselwirkungen zwischen Materialeigenschaften und Form gibt, die "mechanische Kopie" eines Instrumentes in Form von Abmessungen und Materialstärken und -eigneschaften nicht zu einer "akustischen Kopie" eines Instrumentes führt, weil Material und Form für jedes Werkstück individuell aufeinander angepasst werden müssten, um dieselben akustischen Eigenschaften zu liefern.

Meines Wissens sind bisher hierzu keine Untersuchungen geführt worden.


[1] Theory of Sound, ...
[2] Beiträge zur Optik trüber Medien

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